Besuch im fiktiven Museum: “The Master Narrative” von Lisl Ponger
Die österreichische Künstlerin und Fotografin Lisl Ponger führte uns persönlich durch ihre Ausstellung “The Master Narrative”, die aktuell im Weltmuseum zu sehen ist. Mit “Master Narrative” (auch Metanarrative oder Meistererzählung) ist eine Erzählperspektive gemeint, die für lange Zeit als gültig akzeptiert wurde. Oftmals auch deshalb, weil sie mit zeitgenössischen Annahmen konform gingen (und Widersprüchliches wäre ein Mühsal, da man sich dann damit beschäftigen müsste).
Das eigene Museum
Lisl Ponger hat ihr eigenes Museum erdacht und gestaltet: das “Museum für fremde und vertraute Kulturen”, genannt MuKul. Die Besonderheit: Es ist ein wanderndes, fiktives Museum, das nichtsdestoweniger betreten werden kann. Notwendig war dieses Kunstgriff, da Lisl Ponger einen metaphorischen Raum und Ton für ihre Arbeiten brauchte, dieser sich aber höchstmöglich von der (meist ebenfalls musealen) Umgebung abgrenzen sollte. Dies erreicht sie durch eine kontrastreiche Farbgestaltung. In Wien ist das MuKul ganz in schwarz gehalten, um sofort im Weltmuseum als eigenständiges Objekt erkennbar zu sein. Sie will damit erreichen, dass ihre Arbeiten nicht sofort vom Museum vereinnahmt werden und sich diesem damit unterordnen. Denn: Betritt man ihr Museum, erwarten einen keine langen Wandtafeln und Inventarnummern, sondern Diskurs. Das MuKul ist 45° zum restlichen Museum ausgerichtet.
Lisl Ponger wurde vom Weltmuseum für dieses Projekt eingeladen und fand wunderbare Arbeitsbedingungen vor. Sie konnte ohne Vorgaben frei arbeiten, obwohl es ihr doch um Kritik an der gängigen, stereotyplastigen Konstruktion und Präsentation von Kulturen geht. Wichtig dabei war ihr, dass die Ausstellung an eine Präsentation in einem Kunstmuseum angelehnt war, da diese völlig anders sei als in einem Ethnologiemuseum: In der Kunst wird nichts erklärt ("Blaues Quadrat, 1929"), in der Ethnologie alles (große Wandtafeln, viel Text, Handouts zur freien Entnahme).
Die fotografischen Arbeiten
Teil der Ausstellung sind sechs Fotografien, aufgenommen mit einer analogen Mittelformatkamera. Drei der Bilder entstanden für das Projekt, drei der Aufnahmen entstanden früher, passen aber gut, da Lisl Ponger sich schon lange mit dem Thema beschäftigt. Sie legte Wert darauf, dass die Fotografien ohne Digitalisierung direkt auf das Material für die Leuchtkästen aufgetragen werden konnten. Ein analoger C-Print auf Duratrans macht dies möglich. Die Verwendung von analogem Mittelformat erzeugt - im Gegensatz zu digitalen Aufnahmen - eine nicht übertriebene Schärfe und der Verlauf der Schärfentiefe führt zu einem ungewohnten Look.
Analoges Fotografieren bedingt auch eine wesentlich aufwändigere Vorarbeit was die Lichtsetzung betrifft. Auf Photoshop oder Techniken wie HDR wurde explizit verzichtet.
Das beeindruckendste jedoch ist die ungeheure Detailtiefe der Aufnahmen. Bewusst findet sich neben den Fotografien keine weitere Information. Dem Besucher ist es selbst überlassen, die inkludierten Objekte zu entschlüsseln. Absolut alles, was zu sehen ist, hat eine Bedeutung und fügt sich in das “Bild” ein. Beispielsweise die Bücher im Regal von “Die Beute” oder das an den Spiegel geheftete Foto in “Teilnehmende Beobachterin”. Vieles ist dabei ohne entsprechendes (Hintergrund-)Wissen natürlich nicht entschlüsselbar. Nun wird auch klar, warum Lisl Ponger nur einige wenige Fotografien pro Jahr anfertigt: Die notwendige Recherchearbeit ist unglaublich aufwändig und es wird nichts dem Zufall überlassen.
Die 2-Kanal-Installation
Nach eigenen Aussagen ist die Hauptarbeit von “The Master Narrative” jedoch die einen ganzen Museumstag dauernde 2-Kanal-Installation “The Master Narrative und Don Durito”. Diese ist in zehn Kapitel unterteilt. Gezeigt werden von Lisl Ponger gesammelte Ersttagsbriefe, also kleine Kuverts mit Marken vom Erscheinungstag. Zu sehen sind wichtige Persönlichkeiten und Ereignisse - die master narrative vieler Kulturen und Nationen. Die Künstlerin hat über zwei Jahre an dem dazugehörigen Text gefeilt. Acht Stunden klingt viel, aber durch die höchst spannenden Inhalte vergeht die Zeit schnell.
Einziger Wermutstropfen: Die Wiedergabe läuft in Schleife und startet nicht zur Öffnung des Museums mit Kapitel 1. Das ist nicht weiter schlimm, da die Kapitel nicht aufeinander aufbauen, aber doch diverse Bezüge zueinander haben. Einfach einen Museumsmitarbeiter bitten, die Installation wieder von Beginn an laufen zu lassen.
Tipps zum Besuch des MuKul / "The Master Narrative"
Für einen Besuch im MuKul sollte jedenfalls zum einen genug Zeit eingeplant werden. Schlendert man nur beiläufig an den Fotografien entlang, kann man es gleich bleiben lassen. Außerdem ist ein Reinhören in die 2-Kanal-Installation unbedingt empfehlenswert. Ein begleitender Ausstellungskatalog liefert viel hilfreiche Hintergrundinformation zu den Fotografien und der Installation, inklusive einer ausführlichen Bücherliste für die einzelnen Kapitel der Installation. (https://www.weltmuseumwien.at/fileadmin/user_upload/WMW_Lisl_Ponger_Folder.pdf)
Weitere Projekte von Lisl Ponger
Lisl Ponger ist ebenfalls beim Projekt "Archipelago - Insel des unvorhersehbaren Denkens" in der Hauptbücherei Wien beteiligt. Ausserdem wird der 16. "Otto-Breicha-Preis für Fotokunst - Museum der Moderne Salzburg" 2017 an Lisl Ponger verliehen. Im April 2018 wird im Museum der Moderne Salzburg im Rupertinum eine Werkschau eingerichtet.