Brutal gut? Ausstellung "SOS Brutalismus - Rettet die Betonmonster!"

Eines  muss man den auffälligen, brachialen Bauten zugestehen: Sie lassen niemanden kalt. Entweder liebt man sie, oder man verabscheut sie - jeder scheint eine Meinung zu den Objekten zu haben. Brutalismus ist ein  Architekturstil der Moderne. Der Name kommt von “béton brut” (‚roher Beton‘), mit dem Le Corbusier seinen bevorzugten Werkstoff beschrieb. Wie Peter und Alison Smithson  aber meinen, sei der Brutalismus weniger ein Baustil, sondern eher eine Ethik.

Hinter brutalistischen Gebäuden steht eine starke politische Idee. Als Indien 1947 unabhängig wurde, bekam Le Corbusier den Auftrag, die Stadt Chandigarh zu planen. Er realisierte mit seinen jungen indischen Mitarbeitern expressive und selbstbewusste Bauten. Eine ähnliche Entwicklung ist in Afrika festzustellen: Die meisten Staaten Afrikas erlangten in den 1950er und 1960er Jahren ihre Unabhängigkeit. Diese wurde auch architekturell durch das Bauen von Universitäten, Markthallen oder Luxushotels im brutalistischen Stil öffentlich gezeigt. Der Bauboom in Südostasien und Südamerika brachte ebenfalls viele brutalistische Bauten hervor. Die ungelernten Arbeiter hinterließen dabei an der (Beton-)Fassade Spuren, was oft als politisches Zeichen verstanden wurde. 

SOS Brutalismus: Eine internationale Bestandsaufnahme: von Oliver Elser, Philip Kurz, Peter Cachola Schmal listet drei Kriterien für Brutalismus auf: 

  1. Verwendung von Sichtbeton

  2. der Betonung der Konstruktion

  3. skulpturaler Ausarbeitung und Gliederung der Gebäude

Hauptsächlich entstanden die Bauten in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren. Früher hoch gelobt, wurden sie jedoch immer kritischer betrachtet und verunglimpft. Nach 40 Jahren stehen sie nun entweder in halb verfallenem Zustand oder wurden überhaupt schon abgerissen.

Die Online-Initiative #sosbrutalism

Vielerorts regte sich aber auch Widerstand gegen die Verwahrlosung und mögliche Schleifung der Objekte. In einer Online-Datenbank wurden nun bereits über 1.200 Gebäude katalogisiert und nach Gefährdung kategorisiert. Das Ergebnis dieser weltweit erstmaligen Zusammenschau mündete auch in eine Ausstellung in Frankfurt am Main. Wie Oliver Elsner bei der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung erzählte, gab es dabei durchaus intensive Diskussionen mit Internetbenutzern. Eine vorgeschaltene redaktionelle Auswahl und kursorische Bewertung war notwendig. 

SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster! - Ausstellung

Teile der Ausstellung aus Frankfurt sind nun in Wien zu sehen. Neben ausgewählten Modellen und Infotafeln ist auch ein besonderer Schwerpunkt auf österreichische brutalistische Architektur gelegt worden. Das Architekturzentrum Wien (Az W) kann hier durch seine umfangreichen Archive beeindruckendes Originalmaterial zeigen. Neben der bekannten Wotrubakirche in Wien-Liesing werden neun weitere Highlights ausgestellt. 

Auf großen Schautafeln werden internationale Beispiele auf der ganzen Welt gezeigt. Spannend dabei ist, dass  hier keine einzelnen Gebäude präsentiert werden, sondern zu übergreifenden Themenkomplexen Gebäude exemplarisch erläutert werden. Beispielsweise findet sich eine Tafel zu Sakralbauten oder eine mit dem Titel “Frau Brutalist”, auf der Arbeiten von Architektinnen gezeigt werden. Nur drei von 120 Bauten im Ausstellungskatalog wurden von selbständig tätigen Architektinnen geplant.

Die Tafel “Kampagnen” widmet sich weltweit entstehenden Initiativen, die sich für die Erhaltung brutalistischer Architektur einsetzt. Oft unter Zuhilfenahme von Social Media Kanälen. 

Kleine Modelle aus Beton zeigen ausgewählte Teile von Gebäuden, welche mit Infotafeln erläutert werden. Mehrere Meter große Modelle aus Karton machen die oft komplexen und filigranen Strukturen von brutalistischen Bauten mittels Durchblicken erfahrbar.


Kurator*innen: Oliver Elsner / DAM, Österreich-Schwerpunkt: Sonja Pisarik/Az W

Die zweibändige Begleitpublikation “SOS Brutalismus: Eine internationale Bestandsaufnahme” von Oliver Elsner, Philip Kurz und Peter Cachola Schmal zeigt die umfangreiche Recherchearbeit des Deutschen Architekturmuseums DAM in Frankfurt am Main  und der Wüstenrot Stiftung. 

Ausstellungsführungen: Mi 06.06. & 11.07., 17:30, Sa 26.05., 21.07., 04.08. um 15:00
Kurator*innenführungen: Mi 16.05., 13.06., 01.08. um 17:30

Das Rahmenprogramm zur Ausstellung mit Exkursionen und Workshops (zum Beispiel "Flüssiger Stein") bringt das Thema auch Schülern näher.


Az W Insta-Photo Award zur Ausstellung

Angelehnt an die Ausstellung gibt es einen ergänzenden Foto-Wettbewerb. Eingereicht sollen neue Perspektiven und Blickwinkel auf Bauten aus Sichtbeton unter Verwendung des Hashtags #brutalism_azw werden. Der Bewerb läuft vom 23. April bis zum 27. Mai 2018. Eine Jury wählt die zehn besten Arbeiten aus und stellt diese im Az W ab 11. Juli aus. Zusätzlich werden sie zwei Tage lang auf alle INFOSCREENS österreichweit gezeigt. 
 

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